Anna Hoffmann Business Consulting und Facilitation

 Annas Blog - Gehirngerechtes Lernen und Lehren aus Sicht der Kognitionspsychologie und der pädagogischen Psychologie

Pages

29 August, 2016

Gehirngerechtes Lernen und Lehren aus Sicht der Kognitionspsychologie und der pädagogischen Psychologie

Gerhardt Roth formuliert: „Wissen kann nicht übertragen werden; es muss im Gehirn jeden Lernenden neu geschaffen werden.“1 Diese Auffassung revidiert das klassische Modell der Informationsverarbeitung, indem Lernen nur „als Instruktion, als Verarbeitung und Abspeicherung des angebotenen Wissens aufgefasst“2 wird.
Folgende Faktoren sind aus der Sicht der neueren Kognitionspsychologie für den Erfolg der Wissensaneignung von Bedeutung:

  • die Motivation und Glaubhaftigkeit des Lehrenden
  • die kognitiven und emotionalen Gegebenheiten sowie die intrinsische Motivation des Lernenden
  • der Stand des Vorwissens, der die Fähigkeit zur sinnvollen neuronalen Anknüpfung der Lerninhalte bestimmt
  • der spezifische Lehr- und Lernkontext.

Die spürbare Motivation des Dozenten für das Thema sowie die glaubhafte Identifikation und Beherrschung des Stoffes beeinflussen die Bereitschaft des Schülers, neue Lerninhalte aufzunehmen. Engagierte und kompetente Lehrende fördern den Lernprozess maßgeblich: „Ein vom Fach begeisterte Lehrer, der gelegentlich lobt und vielleicht auch mal einen netten Blick für die Schüler übrig hat, bringt deren Belohnungssystem auf Trab.“3
Die innere Haltung von lehrenden oder anleitenden Menschen zu dem jeweiligen Lerninhalt ist also nicht beliebig, wie das alte Modell der Informationsverarbeitung nahe gelegt hat. Der persönliche Bezug der Lehrkraft zum Lernstoff spielt eine wichtige Rolle für den Lernerfolg. Interesse und Begeisterung sind nicht nur auf der Seite des Lernenden nötig: „Nur wer von seinem Fach wirklich begeistert ist, wird es auch unterrichten können. […] Begeisterung lässt sich nicht spielen, man muss selbst begeistert sein.“4
Lernen sollte als positive Anstrengung empfunden werden. Anregender, leichter Stress gilt als lernfördernd. Anforderungen auf geringem Niveau in kuscheliger Atmosphäre sind für das Lernen nachteilig. Auch  Lob sollte nur verdient ausgesprochen werden und transparenten Regeln folgen: Es muss zeitnah, spezifisch und für den Betreffenden klar nachvollziehbar sein, um eine positive Wirkung zu entfalten. Ehrliches Lob zu einer erbrachten Lernleistung erhöht zudem die Bereitschaft, nachfolgendes negatives Feedback anzunehmen.
Bernhard Rosemann und Sven Bielski betonen in dem Zusammenhang die Herstellung von internalen, variablen und kontrollierbaren Erfolgserlebnissen: Erfolg hängt nach dieser Definition vom persönlichen Engagement ab, ist auf eigene Anstrengungen zurückzuführen und kann selbst gesteuert werden. „Nur dann kann der Lernende selbst Einfluss nehmen und damit auch die Verantwortung für seine Erfolge und Misserfolge übernehmen.“5
Durch eine solche Erfolgsattribution steigt die Motivation zum Lernen sowohl im Erfolgs- wie auch im Misserfolgsfall. Der Glaube an die Selbstwirksamkeit zur Verbesserungen der eigenen Fähigkeiten wird erhöht. Die innere Haltung zum Lernen ist ein entscheidender Faktor: „Menschen, die gelernt haben, dass jede Anstrengung neue Verbindungen zwischen Nervenzellen entstehen lässt, schneiden in schwierigen Kursen deutlich besser ab.“6
Umgekehrt ist starker Stress, vor allem ausgelöst durch Versagensangst und Gefühle der Bedrohung, sehr hinderlich für den Lernerfolg. Diese Aussage trifft auch Spitzer: „Während akuter Stress […] zu verbesserten Lernleistungen führen kann, haben extrem starker und besonders chronischer Stress negative Auswirkungen auf das Gedächtnis.“7
Lernprozesse sollten mit der alltagsnahen Veranschaulichung der Lerninhalte beginnen, um die Vorstellungs- und Anschlussfähigkeit der Lernenden zu unterstützen. Eine ansprechende Lernumgebung, wertschätzende soziale Beziehungen und gute zeitliche Rahmenbedingungen tragen wesentlich dazu bei, Lerninhalte langfristig zu verankern.


1 Roth, Gerhard (2004): „Warum sind Lehren und Lernen so schwierig?“, in „Zeitschrift für Pädagogik“, 50, S. 496-506

2 Ebd.

3 Spitzer,  Manfred (2006): „Lernen, Gehirnforschung und die Schule des Lebens“, Heidelberg

4 Ebd.

5 Rosemann, Bernhard und Bielski, Sven (2001): „Einführung in die Pädagogische Psychologie“, Weinheim und Basel

6 Kolovos, Irene (2016): „Leichter lernen – Überraschende Erkenntnisse der Hirnforschung“, in „Bild der Wissenschaft“, 2/2016, S. 52 – 57

7 Spitzer,  Manfred (2006): „Lernen, Gehirnforschung und die Schule des Lebens“, Heidelberg

Neuer Kommentar

Atom · Powered by Nibbleblog