Wertschöpfung durch Lernen aus Erfolg
Francesca Gino und Gary Pisano postulieren, dass überraschenderweise gerade Erfolg eine Ursache für späteren Misserfolg von Unternehmen sein kann.1 Die Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen, wird allgemein als ein wichtiger Faktor für die organisationale Weiterentwicklung gesehen. Doch die Fähigkeit, aus Erfolg zu lernen, kann eine noch bedeutendere Herausforderung für das langfristige Wachstum des Unternehmens darstellen.
Erfolg verleitet dazu, sich vermehrt auf das Gewinnen statt auf das Lernen zu fokussieren. Vorliegende Informationen und Daten werden im Fall des Misserfolgs ausgewertet, um festzustellen, was falsch gelaufen ist. Im Erfolgsfall werden selten Analysen durchgeführt, um die Gründe für den Sieg genauer zu bestimmen. Dadurch bleiben elementare Quellen der Wertschöpfung ungenutzt, denn durch die Analyse des eigenen Erfolgs können wertvolle und in der Regel leicht umsetzbare Erkenntnisse für zukünftige Erfolge gewonnen werden.
Folgende Faktoren erschweren nach Gino und Pisano das Lernen aus Erfolg:
- Fundamentale Zuschreibungsfehler (fundamental attribution errors):
Im Erfolgsfall wird der Erfolg den eigenen Einsichten, Strategien, Talenten, Managementfähigkeiten und aktuellen Modellen zugeschrieben. Der nicht unerhebliche Einfluss von hilfreichen Zufällen oder positiven Umweltbedingungen wird zu wenig beachtet. Erfolg kann deshalb blind machen für Schwächen und Probleme in der aktuellen Strategie oder der Unternehmenskultur.
Umgekehrt wird bei der Analyse der Erfolgsfaktoren der Konkurrenz die Bedeutung von Management und Strategien heruntergespielt, während externen Faktoren wie Glück oder günstigen Umständen viel Gewicht beigemessen wird. In der Forschung ist das als klassisches menschliches Verhalten nachgewiesen.
Generell fällt es den meisten Menschen schwer, die Relevanz von Rahmenbedingungen für den Erfolg oder Misserfolg einer Sache richtig einzuschätzen. Erfolg in einem leichten Umfeld erscheint oft beeindruckender als das Überleben in einem schwierigen Umfeld, obwohl das Überleben in einem Krisensektor vielleicht mehr Fähigkeiten und Talent erfordert. - Wahrnehmungsverzerrung durch zu viel Selbstvertrauen (overconfidence bias):
Durch den Erfolg steigt die Selbstsicherheit. Deshalb kann Erfolg dazu verleiten, der eigenen Urteilskraft zu viel Bedeutung beizumessen. Fehler in den eigenen Entscheidungen werden dann nicht wahrgenommen. Auch wenn der Glaube an sich selbst viele gute Seiten hat, kann ein Zuviel an Selbstvertrauen jede Form von Veränderung unnötig erscheinen lassen.
Denn dadurch kann sich eine gefährliche Tendenz entwickeln, kritische Stimmen oder schlechte Nachrichten zu ignorieren. Die Folgen sind übersehene Chancen für Innovationen, wachsende Qualitätsprobleme, absinkende Kundenzufriedenheit, eine zu hohe Risikobereitschaft und eine Ignoranz gegenüber wichtigen Marktveränderungen. - Versäumnis, nach den Ursachen zu forschen (failure-to-ask-why syndrom):
Im Erfolgsfall besteht die Tendenz, die Gründe für eine gute Performance nicht systematisch durch eine ausreichende Reflexion zu untersuchen. Man geht davon aus, das alles benötigte Wissen und relevanten Informationen zur Verfügung stehen. Das kann sowohl in Teams als auch in der Führungseben dazu führen, das wichtige oder heikle Fragen nicht gestellt werden. Falsche Annahmen über die Ursachen von Erfolg werden so nicht revidiert werden.
Lösungsmöglichkeiten zum gezielten Lernen aus Erfolg bestehen in der geplanten und systematischen Reflexion von abgeschlossenen Projekten. Im US-Militär wird dazu das Format "After-Action Reviews" (AARs) eingesetzt. In dem Format werden vier grundlegende Fragen gestellt: Was hatten wir geplant? Was ist tatsächlich passiert? Warum ist es passiert? Was lernen wir für die Zukunft?
Auch bei der Beurteilung einzelner Mitarbeiter ist es wichtig, nicht nur schlechte Performance genauer zu analysieren. Die Ursachen für erfolgreiche oder exzellente Performance zu untersuchen, kann wichtige Lektionen für andere Mitarbeiter zu Tage treten lassen.
Die innovative Filmschmiede Pixar, ein potentieller Kandidat für „Nicht-Lernen wegen konstantem Erfolg“, führt mit den Postmortems konsequent Rückblicke der abgelaufenen Prozesse durch. Dabei werden an das Team Reflexionsfragen gestellt wie: "Was sind die wichtigsten fünf Punkte, die Sie auf alle Fälle wieder so machen würden?" und "Welche fünf Punkte würden Sie auf keinen Fall wiederholen?" Ergänzend werden über alle Aspekte der Produktion Daten gesammelt, die dazu genutzt werden, persönliche Einschätzungen über organisationale Herausforderungen abzugleichen und Diskussionen anzuregen. Zusätzlich werden Reviews auf der Metaebene abgehalten, in denen über den Ablauf von mehreren Produktionen reflektiert wird. Diese Reviews werden nach Möglichkeiten von jemandem geleitet, der die Perspektive eines Außenstehenden einbringt.
1 Gino, Francesca und Pisano, Gary (2011): "Why leaders don`t learn from success", in "Harvard Business Review", 4/2011